4.Wahl und klassischer Konflikt

(vom Brevet Herbsterlebnis / ca. 60 Teilnehmer / Strecken 150 und 225 Kilometer am 29.09.2012)

Gegen 22:00 Uhr schlafe ich in der Regel noch nicht, aber ich habe bereits mein Bett aufgesucht und lese noch ein wenig. Am Freitag hatte ich dann auch eine Aufgabe für den kommenden Sonnabend.

In den Vorjahren hatte Veranstalter Michael die Führung der Komfortgruppe auf der Mini-Strecke beim Herbsterlebnisbrevet übernommen. Diese Jahr hat ihn eine gerade überstandende Lungenentzündung abgehalten. Alles war eingeteilt, bis die Absage kam. Also sollte ich denen, die ein wenig Führung und Zusammenhalt bei einem Brevet mögen, genau dieses bieten. Michael hatte vorher noch andere Kollegen befragt. Als 4.Wahl kam ich zum Einsatz.

Der Wetterbericht las sich durchaus gemischt, aber zum Start um 8:00 Uhr ab Aumühle war es trocken. Langsam fahren kann ich gut, das kriegt man auch ohne großen Trainingsaufwand hin. Und ich habe das Jahr über wirklich wenige Kilometer gesammelt. So bildete sich rund um mich herum dann die letzte Gruppe, gut zehn Fahrer und Fahrerinnen.   

Auf der Strecke von Aumühle über die Geesthachter Elbbrücke stehen Entscheidungen an. Es geht um den klassischen Konflikt zwischen Vernunft und Vorschrift. Darf man sich über die Vorschrift hinwegsetzen, wenn es um die eigene körperliche Unversehrtheit geht? Kann der schnelle Autofahrer bei guter Sicht und wenig Verkehr, nicht auch eine Tempobegrenzung unvernünftig finden?

Das Verkehrsschild versagt dem Radfahrer in Escheburg die Fahrt auf der Fahrbahn. Der Radweg ist schmal, es kann Gegenverkehr, sei es zu Fuß oder auf dem Rad, geben. Außerdem geht es steiler bergab als auf der Straße. Unten, wo der Schwung am größten ist, gibt es eine Schule und Anliegerverkehr ist möglich. Alles sehr unübersichtlich. Die Escheburger Kinder fahren wahrscheinlich kein Fahrrad, sondern werden mit dem Auto gebracht.

Auf der Geesthachter Elbbrücke gibt es kein spürbares Gefälle, trotzdem soll man nicht mit dem Rad auf der Straße fahren. Auf dem Radweg aber auch nicht. Auf dem Schild steht „Radfahrer absteigen“. Irgendwann später darf man aus Planersicht wohl wieder aufsteigen. An der eigentlichen Elb-Staustufe wird man von unangenehm viel Geländer bedroht, der Radweg ist schmal und kombiniert. Aus den Vorjahren ist ein Sturz mit Krankenhausbesuch in Erinnerung.

Nach Überwindung dieser Engstellen konnte man die Natur in Niedersachsen genießen. Der Track von Michael war einwandfrei, detailliert und die Akkus in meinem GPS-Gerät geladen. Und nicht nur die technische Trackqualität war gut, auch die Strecke war schön und verkehrsarm zu fahren. Aber Natur ist nicht nur Landschaft und wenige Autos, auch die gute Luft gehört dazu. Sie wurde uns durchaus kräftig zugeführt. Aber das ist der Vorteil einer Gruppe, man kann sich in den Windschatten begeben, wenn man mit der guten Luft mal nichts anzufangen weiß. Mit der Wasserversorgung klappte es nicht ganz so gut. Ein paar Tropfen, die nicht für die Regenjacke reichten, das war es auf den 150 Kilometern.

Aber eigentlich sind wir nicht hauptsächlich Rad gefahren, sondern waren auf der Suche nach den Stempeln und hatten Kontrollfragen zu beantworten. Mir persönlich reichte der Track, ich wollte keinen Stempel und keine Fragen. Deshalb bin ich als Führer so einer Brevetgruppe wahrscheinlich auch nur 4. Wahl. Ich musste Michael zum Schluss tief in die Augen schauen und schwören, dass wir die ganze Strecke mit dem Rad abgefahren sind. Zum Glück hat er mir geglaubt. Aber die Strecke war wirklich gut, was hätten wir auch sonst machen sollen?

Zum Bäcker gehen zum Beispiel. Eigentlich haben wir das Kaffeetrinken mit Radfahren unterbrochen. Dahlenburg kam schon nach etwa 60 Kilometern. Kaffee und Kuchen beim Bäcker, andere haben noch ein wenig am Rad gebastelt. Dann zur Fähre ab Neu Darchau und Soljanka und Brötchen beim Bäcker in Neuhaus. Auch In Mecklenburg Vorpommern und Schleswig Holstein gibt es viel Natur und Landschaft, dafür sind die Bäcker knapp. Wir haben bis Aumühle durchgehalten. Spätestens ab Hohenhorn drehte der Track auf Rückenwind. Führung und Zusammenhalt waren nicht mehr so sehr gefragt.

Nach der Dusche wurde ein Nudelgericht und kastriertes Bier gereicht. Draußen war zu beobachten, was wir, wohl doch nicht, vermisst hatten. Es wurde dunkel und ein schöner kräftiger Schauer sorgte für Feuchtigkeit.

Das Wetter inspirierte uns, darüber nachzudenken, ob man als Radfahrer nicht noch weitere Messtechnik benötigt. Den Seglern und Fliegern unter den Radfahrern war der Gedanke sofort plausibel. Es muss nicht nur die Geschwindigkeit über Grund, sondern auch die relative Geschwindigkeit in der Atmosphäre erfasst werden. Eine Geschäftsidee, die die UCI ein knappes Jahrzehnt später verbieten könnte.

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HFS